Stellungnahme der Internationalen Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen (OII Germany e. V.) zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz “Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Kindern vor geschlechtsverändernden operativen Eingriffen” vom 9. Januar 2020
Nach mehr als zwei Jahrzehnten des Protests gegen die Verstümmelung intergeschlechtlicher Genitalien liegt endlich ein Gesetzentwurf für ein Verbot geschlechtsverändernder Eingriffe im Kindesalter vor. Wir begrüßen es, dass ein rechtswirksamer Schutz vor uneingewilligten kosmetischen Eingriffen umgesetzt werden soll. Doch das Eingriffsverbot muss unabhängig von der Geschlechtszuordnung erfolgen: Nicht die „Änderung des angeborenen biologischen Geschlechts“, sondern die Änderung der körperlichen geschlechtlichen Merkmale einer Person in Erscheinung und Funktion ohne vitale Notwendigkeit muss verboten werden!
Wir kommentieren im Folgenden den Referentenentwurf aus Sicht eines Inter*Verbands, der aktiver Teil der internationalen Intersex-Menschenrechtsbewegung ist.
So sehr wir uns eine schnelle Umsetzung eines Verbots wünschen, sehen wir die Notwendigkeit, auf eine Reihe gravierender Probleme des Referentenentwurfs hinzuweisen, die eine grundlegende Überarbeitung des Entwurfs aus unserer Sicht unabdingbar machen. Unsere wichtigsten Kritikpunkte sind:
Der Referentenentwurf
- legt menschenrechtlich untragbare Ausnahmen vom „Verbot geschlechtsverändernder Eingriffe” fest,
- definiert die Begriffe „Geschlecht“ und “geschlechtsverändernde Eingriffe“ in inakzeptabler Weise,
- beschränkt die medizinische Entscheidungsmacht über die Geschlechtszuordnung und die Zulässigkeit genitalplastischer Eingriffe nicht wirksam,
- lässt geschlechtsverändernde Hormon- und pränatale Dexamethasonbehandlungen, die sehr wohl irreversible Wirkungen haben, außen vor,
- setzt die Altersuntergrenze für die Möglichkeit der Einwilligung intergeschlechtlicher Kinder in geschlechtsverändernde Eingriffe zu niedrig an,
- stellt eine medizinunabhängige Aufklärung und Beratung des Kindes und der Eltern nicht sicher,
- sieht keine medizinunabhängige Begutachtung als Grundlage familiengerichtlicher Genehmigungen vor,
- verlängert die Patient*innenakten-Aufbewahrungspflicht nicht, wie es der Problematik angemessen wäre, ab Volljährigkeit für 30 Jahre,
Notwendige Ergänzungen eines umfassenden Verbotsentwurfs sind aus unserer Sicht zudem:
- Regelung der Sanktionen für ausführende Ärzt*innen und einwilligende Eltern bei Verletzungen des Verbots,
- Verlängerung der Verjährungsfristen bei Verbotsverletzungen bis zum 30. Lebensjahr,
- medizinunabhängige und geschlechterreflektierte Fortbildung von Familienrichter*innen und Verfahrensbeiständen,
- Beratungsanspruch und öffentliche Förderung von Beratungsangeboten,
- Entschädigungen.
Generell sehen wir es als problematisch an, dass statt durch eine klare gesetzliche Regelung der Geltungsbereich des Verbots durch eine schwammige, menschenrechtlich in einigen Festlegungen fragwürdige, z.T. auch nicht dem neuesten Erkenntnisstand entsprechende Begründung bestimmt wird.
Lesen Sie unsere vollständige Stellungnahme als PDF: https://oiigermany.org/wp-content/uploads/2020/02/Stellungnahme_OIIDE_Verbot_2-2020_final.pdf