Eingangsstatement des_der Sprecher_in der IVIM / OII-Deutschland Ins A Kromminga anläßlich der Öffentlichen Anhörung des Deutschen Ethikrates zur Situation intergeschlechtlicher Menschen in Deutschland
Das Audioprotokoll zum Nachhören ist hier zu finden (rechter Mausklick zum herunterladen):
Wir leben zur Zeit in einer Welt, die ihre eng gesteckten Vorstellungen von Geschlechtlichkeit mit Hilfe der Naturwissenschaften definiert und von einer klinischen Praxis strengstens überwachen und engmaschig kontrollieren und regulieren lässt.
Und seit nun schon cirka 18 Jahren setzen sich intergeschlechtliche Menschen öffentlich und aktiv für ihre Menschenrechte ein. Ein Zeitraum, in dem eine neue Generation von Herms (oder Hermaphroditen) aufgewachsen ist. Auch bei diesen Kindern und Jugendlichen gelten die Menschenrechte (das Recht auf körperliche Unversehrtheit und geschlechtlicher Selbstbestimmung über ihren Körper und ihre Identität) bestenfalls als ZWEITRANGIG gegenüber der Wahrung unserer gesellschaftlichen Geschlechterordnung.
Die wirkmächtige Unterscheidung von Menschen in Männer und Frauen beginnt bei der Geburt mit der Frage nach dem Geschlecht des Kindes. Diese Frage nicht zu beantworten ist ungeheuerlich und undenkbar.
Unsere anders aussehende und funktionierende Körperlichkeit wird als Merk-Würdig und als „Störung“ betitelt und zugleich werden medikamentös/chirurgische „Ent-störungslösungen“ von der Medizin angeboten. Im Klartext heisst das zum Beispiel, dass auch heute noch die Genitalien von Neugeborenen und Kleinkinder ohne zwingende Indikation chirurgisch irreversibel verändert werden, oder dass Erwachsene nicht über ihre Konstitution aufgeklärt werden und sich unter falschen Vorgaben medizinischen Maßnahmen unterziehen, die in Folge erst gesundheitliche Probleme bewirken.
Dabei sind unsere Körperfunktionen und Anatomien an sich kein Problem, sondern der normierende Blick auf sie. Doch selbst die Vielfalt der als männlich oder weiblich zugewiesenen Körper enspricht eher selten der Norm. Bei intergeschlechtlichen Menschen werden aber genau diese Normvorstellungen, die eigentlich niemand erfüllt, zum Ziel der irreversiblen geschlechtsverändernden Eingriffe gemacht.
Normen werden sozial und politisch hergestellt, daher sind sie auch durch Umdenken und Politik veränderbar.Bisher haben sich die unterschiedlich zusammengesetzten Bundesregierungen in ihren Antworten auf Anfragen bezüglich des Umgangs mit Intersexualität immer eine gesellschaftspolitische Verantwortung zurückgewiesen und die Problematik als medizinisch-psychologisches Spezialproblem gewertet und somit keinerlei politischen Handlungsbedarf gesehen.
Die heutige Anhörung könnte ein wichtiger Schritt zu einer positiven Veränderung sein. Wir hoffen, dass sich die Bundesregierung dadurch entsprechend in der Pflicht sieht.
Der erste und schwerste Schritt wäre, der Medizin die Definitionshoheit über unser Verständnis von Geschlechtervielfalt zu nehmen und deutlich zu machen, dass die eigentlichen Fragen, die intergeschlechtliche Menschen in unserer Gesellschaft aufwerfen, eben nicht medizinisch oder naturwissenschaftlich zu beantworten sind, sondern sozio-kulturell und gesamtgesellschaftlich. Dazu gehört, Inters* als Expert_innen in eigener Sache anzuerkennen.
Hierzu bedarf es dringend, dass Strukturen geschaffen und gefördert werden, in denen eine Basisarbeit von Aufklärung, Sensibilisierung und Lobbyarbeit geleistet wird. Anstelle medizinischer Forschungsvorhaben, die geschlechtsnormierende wissenschaftliche Sichtweisen und Behandlungsmaßnahmen befördern, müssen Räume entstehen, die gesellschaftliche Aufklärung leisten und ein entpathologisierendes Verständnis von Intergeschlechtlichkeit fördern, die für mehr Sichtbarkeit sorgen und als Anlaufstelle für Inters und ihre Angehörige Peer-Beratung und Unterstützung leisten. Es bedarf einer Praxis zur Erweiterung bestehender Geschlechterbilder in unserer Gesellschaft vor allem überall dort, wo mit Menschen jeglichen Alters, Geschlechts und Identität umgegangen wird (Schulen, Behörden, Krankenhäuser etc.).
Wie bei jeder anderen gesellschaftlichen Minderheit ist der Schutz dieser Menschen durch das Recht und durch Gesetze, also auch durch Taten der Politik, erforderlich. Sensibilisierung und Akzeptanz in der Gesellschaft müssen häufig mit Hilfe von Gesetzen und Rechtsprechungen bestärkt werden.
Diese neuen Strukturen würden schließlich zu einer „Hermkultur“, zu Entwicklung und Förderung unserer Potentiale und Leistungen führen. Unsere Biografien unterscheiden sich dann von den bisherigen „Patientenkarrieren“.
Die Vorraussetzung dazu ist, die medizinische Bevormundung und die Menschenrechtsverletzungen an Hermaphroditen sofort zu stoppen!