(Menschen)Rechte

Es ist noch nicht sehr lange her, seitdem die Frage der Menschenrechte für Inter* zum ersten Mal gestellt und ausserhalb des medizinischen Kontexts verhandelt wurde. 

Seit den 1950er Jahren und in Deutschland seit den 1960er Jahren wurde auf ein systematisches Behandlungskonzept zurückgegriffen, das von John Money, Lawson Wilkins, John und Joan Hampton entwickelt wurde. Dieses Konzept empfahl, Kinder vor ihrem dritten Lebensjahr an ihren intergeschlechtlichen Geschlechtsmerkmalen chirurgisch und später auch gegebenenfalls hormonell zu behandeln.

Eine der ersten Demonstrationen, die diese medizinische Praxis öffentlich anprangerte war die der „Hermaphrodites With Attitude“ vor einer Klinik in Boston, MA, U.S.A. am 26. Oktober 1996. Der Tag wird heute international als der Intersex Awareness Day – dem Tag der Inter*-Sichtbarkeit zelibriert.

Im deutschsprachigen Raum war es die “Arbeitsgruppe Gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie” (AGGPG), die ebenfalls schon 1996 diese schädliche Praxis angeprangert hat.

2005 gab es in Berlin in Form eines Ausstellungs- und Archivprojekts eine bis dahin nie da gewesene öffentlichkeitswirksame Verknüpfung von intergeschlechtlichen Lebensrealitäten, binärer Geschlechterordnung, Kunst, Musik, Literatur, Geschichte und Menschenrechten. Dies wurde schon im Titel des Projekts deutlich: “1-0-1 [one ‘o one] intersex. Das Zwei-Geschlechter-System als Menschenrechtsverletzung.”

Der dazugehörige Katalog und die darin enthaltenen interdisziplinären Beiträge sind noch heute relevant und empfehlenswert [link]

Seit 2008 hat es durch Vertragsorgane der Vereinten Nationen und ihrer Gremien wiederholt und zahlreiche Rügen gegeben, die diese Praktiken verurteilen. So hat bahnbrechenderweise der Sonderberichterstatter für Folter, Juan Méndez, in seiner ersten Stellungnahme in 2013 das Thema auf der globalen Menschenrechtesebene anerkannt. 
OII Europe informiert kontinuierlich u.a. über Dokumente und Veranstaltungen in diesem Rahmen. [link]

Auf Europäischer Ebene gab es seit 2013 mehrere Stellungnahmen, die sich den Menschenrechten von Inter* gewidmet haben z.B: die erste PACE Resolution zu Rechten von Kindern auf körperliche Integrität – bis hin zur bahnbrechenden Resolution des Europaparlaments von 2019 zu den Rechten intergeschlechtlicher Menschen.

Ebenso legt die erste EU LGBTIQ Equality Strategy der EU-Kommission von 2020 einen besonderen Schwerpunkt auf den Schutz und die Verbesserung der Situation von intergeschlechtlichen Menschen (sowie trans*- und nicht-binären Menschen). Die Strategie befasst sich auch speziell mit den schädlichen Praktiken wie nicht-lebensnotwendigen Operationen und medizinischen Eingriffen an intergeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen ohne deren persönliche und vollständig informierte Zustimmung, und beschreibt diese als IGM (Intersex Genital Mutilation / Intergeschlechtliche Genitalverstümmelung). 

Auch die Kinderrechtsstrategie der EU-Kommission von 2021 erkennt IGM als Gewalt gegen intergeschlechtliche Menschen an und weist, wie bei FGM (weibliche Genitalverstümmelung), auf die dringende Notwendigkeit hin, diese schädlichen Praktiken zu beenden.

Der Schutz der Menschenrechte von intergeschlechtlichen Menschen hat inzwischen in vielen Mitgliedstaaten des Europarates zunehmend an Bedeutung gewonnen. Einige haben Gesetze erlassen, die geschlechtsverändernde Eingriffe wie Operationen verbieten, während andere ihre Antidiskriminierungsgesetze überarbeitet haben, um Geschlechtsmerkmale als geschütztes Merkmal aufzunehmen, wobei sie unterschiedliche Regelungsverfahren anwenden. Malta (2015), Portugal (2018), Island (2019), Deutschland (2021) und Griechenland (2022) haben mit ihren Gesetzen Rechtsvorschriften eingeführt, die Minderjährige Inter* bzw. Kinder, die mit Variationen der Geschlechtsmerkmale (VSC) geboren sind, vor unnötigen medizinischen Eingriffen schützen sollen, solange diese nicht persönlich, frei und vollständig informiert ihre Einwilligung geben können.
Belgien und Spanien sind derzeit dabei, ihre nationalen Regelungen zu den Menschenrechten von Intergeschlechtlichen zu schaffen.

Am 4. April 2024 haben die Vereinten Nationen ihre erste Resolution verabschiedet, die sich speziell gegen Diskriminierung, Gewalt und schädliche Praktiken gegenüber Personen mit angeborenen Variationen der Geschlechtsmerkmale richtet. Mehr dazu hier in der gemeinsamen Pressemitteilung vom 4.4.2024 der internationalen Inter*-Menschenrechtsbewegung und ihren Verbündeten: [Link]

Eine Auswahl von Beiträgen zum Thema Menschenrechte

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