Die Broschüre Inter & Sprache bietet eine Auswahl inter*relevanter Begriffe und ergänzt sie durch kritische Anmerkungen
Was möchte diese Broschüre bewirken?
Sprache ist ein wirkmächtiges Mittel um Gedanken und Ansichten zu formen, Denkräume zu öffnen oder zu schließen. Worte und Bezeichnungen können bestärken und schützen. Negativ besetzte Zuschreibungen können ihrer zerstörenden Kraft beraubt werden, wenn man sie neu füllt und mit Stolz spricht.
Die Bedarfserhebung des Projekts »Antidiskriminierungsarbeit & Empowerment für Inter*« hat gezeigt, dass eine emanzipierte Sprache es überhaupt erst für Inter* möglich macht, sich scheinbar selbstverständliche Lebensbereiche zu erobern. Die Erhebung hat auch gezeigt, dass eine nicht-pathologisierende und respektvolle Sprache entscheidend ist, um andere – neue – Denkräume jenseits von Pathologisierung zu erschließen – für Inter*, ihre Angehörigen und die Gesellschaft.
Eine reflektierte und wertschätzende Sprache hilft Inter* und ihren Angehörigen dabei, sich von den normierenden Zuschreibungen und der Bevormundung, die in unserer Gesellschaft in Bezug auf Inter* weiterhin vorherrschen, zu emanzipieren und selbst anders bzw. neu über die eigene Situation zu reflektieren. Sprache gemeinsam mit anderen Inter* zu (er-)finden und in Handreichungen wie diesen in die Öffentlichkeit zu bringen hat somit neben der zu mehr Sichtbarkeit führenden Seite einen direkten empowernden Aspekt.
Sprachlosigkeit hingegen ist das Ergebnis einer sprachlichen Unterdrückung, in der es scheinbar keine Alternativen gibt – zu der verordneten und pathologisierenden Sprache der Medizin oder zu der diskriminierenden und exotisierenden Sprache einer binären Geschlechterordnung.
Ohne positive Sprache jedoch lässt sich kein positives Selbstbild entwickeln. Intergeschlechtliche Menschen müssen daher lernen, Auswege aus der Sprachlosigkeit zu finden und Alternativen zu entwickeln. Die Erstellung der vorliegenden Broschüre wäre ohne den Mut und die gemeinsame Arbeit intergeschlechtlicher Menschen nicht möglich gewesen.
Die hier versammelten Beispiele möchten aufzeigen, welche respektvollen, emanzipierenden und wertschätzenden Begriffe schon existieren, wo an Stellen des » Sprechens über… « Fallstricke existieren können oder wie scheinbar neutrale Begriffe diskriminieren. Dabei sei zugleich darauf hingewiesen, dass Sprache einem immerwährenden Wandel unterliegt, daher erhebt diese Broschüre keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder dauerhafte Gültigkeit.
Die Handreichung richtet sich an alle Verbündete, Unterstützer_innen und Interessierten, die die Situation von Inter*-Menschen besser verstehen möchten.
Eine Broschüre von TransInterQueer e.V. und IVIM /OII-Deutschland e.V.
Inter* & Sprache [PDF]
:: update Mai 2020 ::
Begrifflichkeiten:
Uns ist eine präzise und menschenrechtskonforme und entpathologisierende Sprechweise zu Inter* wichtig, weil es nach wie vor zu wenig intergeschlechtliche Menschen gibt, die sich selber zu ihren Themen äußern. Inzwischen gibt es eine größere Öffentlichkeit, die die Existenz von Inter* mitbekommen hat, doch fehlt es häufig an einem sprachlich sensiblen Umgang.
„Intergeschlechtlichkeit“ ist die korrekte deutsche Übersetzung des englischen Begriffs „Intersex“, der formals als medizinische Definition und seit 2005 weltweit von DSD (Störung der Geschlechtsentwicklung) abgelöst wurde. Der Begriff beschreibt ein angeborenes somatisches Sosein, ein körperliches, physisches Sosein. Im Englischen wurde auch der Begriff „intersexuals“ benutzt, der aber, wie seine deutsche Übersetzung „Intersexuelle“, einen Zusammenhang mit Sexualität herstellt. Doch bei Inter* geht es in erster Linie wie oben geschrieben um das angeborene körperliche, somatische Vorhandensein von Variationen der Geschlechtsmerkmale. Aus diesem Grund verwenden wir nicht den Begriff „Intersexuelle“ oder „intersexuals“. Ebenso lehnen wir es ab, über inter*Menschen als Menschen mit einer „Intersexualität“ oder mit „Intergeschlechtlichkeit“ zu sprechen, das wäre vergleichbar mit der Sprechweise, bei Männern und Frauen von Menschen mit einer „Männlichkeit“ und mit „Weiblichkeit“ zu verwenden.
„Inter*“ ist ein Sammelbegriff und beinhaltet alle Selbstbezeichnungen von intergeschlechtlichen Menschen (u.a. als Zwitter, Hermaphrodit, Intersex, Herm), es können aber auch medizinische Bezeichnungen sein, die Personen zunächst bekommen. Viele identifizieren sich als weiblich oder männlich, manche inter*Personen können auch eine intergeschlechtliche Identität haben, die der Erfahrung entspringt, in/mit einem intergeschlechtlichen Körper zu leben. Inter*Menschen können, wie alle Menschen, eine männliche, weibliche, trans oder nichtbinäre Identität haben.
Unsere Definition von Inter* ist gleichzusetzen mit intergeschlechtlich und dem englischen Begriff „intersex“, oder der Umschreibung „Menschen, die mit Variationen der Geschlechtsmerkmale geboren wurden“ bzw. im Englischen „People born with variations of sex characteristics“. Wir sprechen hier explizit auch nicht von Varianten: „Varianten“ ist ein Begriff, der von einem Normstandard ausgeht und die Variante als Abweichung (ab)wertet. Daher sprechen wir von Variationen, die gleichwertig mit allen anderen Ausprägungen in Erscheinung treten können. Unsere Definitionen, wie unser Selbstverständnis, basiert auf der internationalen Inter*-Menschenrechtsbewegung und der Malta-Deklaration von 2013, die von über 34 Aktivist_innen und Repräsentant_innen von 30 Intersex-Organisationen aus allen Weltregionen formuliert wurde.
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