Seit 1996 gibt es in Deutschland die öffentliche und deutliche Kritik an frühkindlichen Operationen und anderen medizinischen Behandlungen an intergeschlechtlichen Menschen. Die Widerfahrnisse der Opfer dieser Eingriffe sind spätestens seitdem der Medizin bekannt. Praktiken wie irreversible geschlechtsverändernde operative, medikamentöse und hormonelle Eingriffe ohne vorherige, persönliche und vollständig aufgeklärte Einwilligung werden im Rahmen der Menschenrechtsinstrumente der Vereinten Nationen auch als Intersex Genital Mutilation (IGM) (deutsch: Intergeschlechtliche Genitalverstümmelung) bezeichnet und werden von den meisten Vertragsorganen der Vereinten Nationen (UN) als „schädliche Praktiken“ und „unmenschliche Behandlungen“ gefasst, so unter anderem von den UN-Fachausschüssen für die Rechte des Kindes und gegen Folter.[1]
Die Zahlen einer aktuellen Studie[2] zeigen deutlich, dass es in deutschen Kliniken keinen Rückgang dieser Eingriffe von 2005-2014 gab. Dennoch vertraut die Deutsche Bundesregierung weiterhin auf die Selbstregulierung der Medizin.[3]
Die Interministerielle Arbeitsgruppe Trans- und Intersexualität (IMAG) stellt in ihrem Sachstandbericht vom Oktober 2016[4] fest: „Beratung scheint notwendiger als Verbote“, und befürwortete während der Anhörung eine obligatorische Beratung von Eltern von Kindern mit angeborenen Variationen körperlicher Geschlechtsmerkmale. Nach Einschätzung der Deutschen Delegation und der IMAG sind die oben genannten Eingriffe mit Einführung der neuen medizinischen Leitlinien, zusammen mit den schon bestehenden zivil- und strafrechtlichen Regelungen, eine klare Körperverletzung und faktisch jetzt schon verboten.[5] Jedoch geht aus der S2k-Leitlinie 174/001: Varianten der Geschlechtsentwicklung vom Juli 2016 deutlich hervor: „Die ‚Leitlinien‘ sind für Ärzte rechtlich nicht bindend und haben daher weder haftungsbegründende noch haftungsbefreiende Wirkung”.[6] Schon das Consensus statement on management of intersex disorders von 2006[7] hatte empfohlen, bei kosmetischen chirurgischen Eingriffen mit Bedacht vorzugehen, dennoch zeigen uns die Zahlen für genau diesen Zeitraum eben keinen Rückgang dieser Eingriffe.
Stattdessen schlägt die Regierungsdelegation mit ihrer Aufschiebetaktik vor, erst einmal die Zahlen von 2017 abzuwarten und erst dann, falls diese weiterhin nicht zurückgingen, erneut mit der deutschen Ärzt_innenschaft zu reden.[8]
Welche Hinweise benötigt die Bundesregierung noch, um diese schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen umgehend zu beenden?
[1] CAT/C/DEU/CO/5, para 20; CRPD/C/DEU/CO/1, paras 37-38; CEDAW/C/CHE/CO/4-5 paras 38-39; CEDAW/C/FRA/CO/7-8, paras 17e-f+18e-f; CEDAW/C/NLD/CO/6 paras 21-22, 23-24; CRC/C/GBR/CO/5, paras 46,47.
[3] Audiomitschnitt Antwort Elke Ferner: https://kurzlink.de/5CGgOW9QE
[5] Audiomitschnitt Antwort Ina-Marie Blomeyer: https://kurzlink.de/7Wodzf4si
[7] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2082839/pdf/554.pdf
[8] Audiomitschnitt Antwort Elke Ferner: https://kurzlink.de/3tPU0hiKo