Aktuelle Studie zur Häufigkeit kosmetischer Genitaloperationen an Kindern in Deutschland

Aktuelle Studie zur Häufigkeit kosmetischer Genitaloperationen an Kindern in Deutschland. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

 

Zum ersten Mal sind mit Ulrike Klöppels Studie „Zur Aktualität kosmetischer Operationen ‚uneindeutiger’ Genitalien im Kindesalter“ (2016[1]) verlässliche Zahlen zu kosmetischen Genitaloperationen an Kindern in Deutschland verfügbar. Bei der Studie handelt es sich um eine retrospektive Auswertung von Daten der DRG-Statistik (fallbezogene Krankenhausstatistik) über „feminisierende“ und „maskulinisierende“ Genitaloperationen, die in deutschen Krankenhäusern zwischen 2005 und 2014 durchgeführt worden sind.[2] Die Studie fokussiert auf Kinder unter 10 Jahren, bei denen eine Variation der körperlichen Geschlechtsmerkmale diagnostiziert wurde. Hauptergebnisse:

 

  • Im Durchschnitt wurden 99 „feminisierende“ Operationen (plastische OPs der Vulva, Vagina, Klitoris und des Damms) pro Jahr im Untersuchungszeitraum durchgeführt, zwischen 2012 und 2014 immer noch 91 Prozeduren jährlich.
  • Die mit Abstand häufigsten „feminisierenden“ Operationen waren Formungen der Vulva, gefolgt von Klitorisoperationen und Konstruktionen einer Vagina. Klitorisoperationen haben eindeutig kosmetische Gründe. Zwischen 2012 und 2014 wurden im Durchschnitt immer noch 12 dieser Eingriffe jährlich durchgeführt; hinzu kamen 8 Vagina-Konstruktionen pro Jahr.
  • Die Entwicklung der relativen Häufigkeit „feminisierender“ OPs (Anzahl der Eingriffe im Verhältnis zur Anzahl der Diagnosestellungen, die Variationen der körperlichen Geschlechtsmerkmale kodieren) zeigte keinen Rückgang im Untersuchungszeitraum.
  • Die Anzahl „maskulinisierender“ Operationen (plastische OPs des Hodens, Hodensacks und Penis, einschließlich Harnröhrenverlagerung) stieg im Untersuchungszeitraum an: von durchschnittlich 1601 pro Jahr zwischen 2005 bis 2007 auf 1617 zwischen 2012 und 2014.
  • Bei den meisten dieser Eingriffe handelte es sich um Verlagerungen des Harnröhrenausgangs an die Spitze des Penis (sog. Hypospadie-Korrektur); zusätzlich wurde bei 10 bis 16% der einer solchen Operation unterzogenen Kinder zusätzlich eine plastische Rekonstruktion des Penis vorgenommen.
  • Die relative Häufigkeit „maskulinisierender“ OPs blieb im Untersuchungszeitraum nahezu konstant.

 

Für den Zeitraum 2005 bis 2014 ist also kein Rückgang „feminisierender“ und „maskulinisierender“ Genitaloperationen in der Kindheit festzustellen. Es veränderten sich aber die zugrunde gelegten Diagnosen:

 

  • Klassische Intersex-Diagnosen wie sogenannter „Pseudohermaphroditismus“ wurden immer seltener gestellt, während die relative Häufigkeit anderer Diagnosen aus dem Spektrum der sogenannten „Fehlbildungen“ der männlichen oder weiblichen Genitalorgane konstant blieb oder sogar anstieg.

 

Es ist davon auszugehen, dass sich die hinter den Diagnosen stehenden biologischen Phänomene nicht verändert haben. So drängt sich die Frage auf, ob die Veränderungen der Diagnosen mit einem Anstieg von Abtreibungen und / oder veränderten diagnostischen Praktiken zu tun haben. Zu letzterem passt die Beobachtung einer_s der im Rahmen der Studie befragten Mediziner_innen:

 

„Früher wurde das Vorliegen von Intersexualität als Begründung für Operationen benutzt, heute wird das Nicht­Vorliegen von Intersexualität als Legitimation für Operationen benutzt. Entsprechend u. a. den ärztlichen Bedürfnissen erfolgt die Diagnosestellung.“[3]

 

[1] Bulletin – Texte 42: https://www.gender.hu-berlin.de/de/publikationen/gender-bulletins/texte-42/kloeppel-2016_zur-aktualitaet-kosmetischer-genitaloperationen.

[2] Die DRG-Statistik erfasst medizinische Leistungen, die – etwa bei Wiederaufnahmen – prinzipiell mehrfach innerhalb eines Jahres für den_dieselbe_n Patient_in erbracht werden können. Leistungen, die zu einer Behandlungskette gehören, werden als ein „Behandlungsfall“ zusammengefasst.

[3] Zit. nach U. Klöppel (2016) [siehe Fußnote 1], S. 34.

 

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