Stellungnahme OII Germany zum Eckpunktepapier für ein Selbstbestimmungsgesetz

Stellungnahme IVIM – OII Germany, 01. Juli 2022

Am Donnerstag den 30. Juni 2022 haben die Bundesfamilienministerin Lisa Paus und der Bundesminister der Justiz Dr. Marco Buschmann die Eckpunkte für ein Selbstbestimmungsgesetz vorgestellt, das das Transexuellengesetz ersetzten soll. In diesem Gesetz wird ebenfalls die Gruppe der Intergeschlechtlichen verhandelt.

Wir begrüßen es sehr, dass in Zukunft Änderungen des Geschlechtseintrags im Personenstand grundsätzlich per Selbstauskunft möglich werden, und dass ein erweitertes und sanktionsbewehrtes Offenbarungsverbot, sowie die Stärkung der Aufklärungs- und Beratungsangebote durch die Verbände der Selbstvertretungsorganisationen geplant sind. 

Demnach wird nach dem neuen Selbstbestimmungsgesetz weder die Vorlage eines ärztlichen Attests noch eine Begutachtung nötig sein, und stattdessen soll eine Erklärung mit Eigenversicherung beim Standesamt ausreichen, dass die Geschlechtsidentität nicht mit dem bestehenden Geschlechtseintrag übereinstimmt. Wir hoffen, dass damit auch der Paragraph PStG 45b entsprechend angepasst wird bzw. Absatz (3) entfällt.

Medizinische Maßnahmen

Der Regelungsbereich des Selbstbestimmungsgesetzes soll keine Vorfestlegung hinsichtlich etwaiger körperlicher (somatischer)  Maßnahmen umfassen. Es sollen die Leitlinien beachtet werden, die durch medizinische Fachgesellschaften entworfen wurden bzw. momentan werden.

Aus unserer Perspektive muss die  Lebensrealität von inter* Personen betrachtet werden: Die ICD-11 hat die Nomenklatur DSD “Störung der Geschlechtsentwicklung” sowie die  Klassifikationen, die 2006 im Chicagoer Consensus Statement entworfen wurden, aufgenommen. Intergeschlechtliche Menschen und ihre Körper werden also weiterhin pathologisiert. Im Gegensatz dazu werden erwachsene Transmenschen in der ICD-11 entpathologisiert und dementsprechend exisitieren Leitlinien, die dem Rechnung zollen. 

Diese Tatsache wurde ebenfalls von der Menschenrechtskommissarin des Europarates Dunja Mijatović 2019 in ihrem Statement hervorgehoben. (https://www.coe.int/en/web/commissioner/-/icd11-is-a-stride-toward-depathologisation-of-trans-people-but-more-is-needed)

Wir fragen uns, wie die Rechte intergeschlechtlicher Menschen in dieser Hinsicht verbessert  werden können?

Entschädigung

Wir begrüßen auch, dass im Selbstbestimmungsgesetz Regelungen für Anerkennungsleistungen getroffen werden sollen, die trans- und intergeschlechtliche Personen betreffen, die aufgrund früherer Gesetzgebungen von Körperverletzungen oder Zwangsscheidung betroffen waren.

Wir möchten jedoch an dieser Stelle noch einmal auf unsere bestehende Forderung verweisen, dass alle intergeschlechtlichen Personen, die nicht-lebensnotwendige Operationen und medizinische Eingriffe ohne persönliche und vollständig informierte Zustimmung erlitten haben, entschädigt werden müssen, unabhängig davon, ob sie eine Änderung ihres Personenstandes vollzogen haben. 

Denn, es muss mit der Implementierung des Gesetzes zum Schutz vor uneingewilligten medizinischen Eingriffen auch eine Entschädigung intergeschlechtlicher Menschen für die vergangenen Verletzungen und Misshandlungen durch Medikalisierung und gesellschaftliche Diskriminierungen auf Grund ihrer geschlechtlichen Merkmale geregelt werden. 

Aktuell sind zudem unter dem “Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung” nicht alle inter* Kinder und Minderjährige vor uneingewilligten Eingriffen an ihren angeborenen Geschlechtsmerkmalen geschützt, und wir nehmen hier die Bundesregierung beim Wort, die in ihrem Koalitionsvertrag bekundet, bestehende Umgehungsmöglichkeiten des Gesetzes zu beseitigen.

Bereits in der EU LGBTIQ Equality Strategy der EU-Kommission von 2020 wurde ein besonderer Schwerpunkt auf den Schutz und die Verbesserung der Situation von intergeschlechtlichen Menschen (sowie trans*- und nicht-binären Menschen) gelegt und beschreibt die medizinischen Eingriffe an Inter* als schädliche Praxis und als IGM (Intersex Genital Mutilation / Intergeschlechtliche Genitalverstümmelung).

Darüber hinaus muss es aus unserer Sicht neben Entschädigungs- und Schmerzensgeldleistungen für die Überlebenden dieser Widerfahrnisse auch eine öffentliche Anerkennung, Aufarbeitung und Entschuldigung für das an Inter*Menschen verursachte Leid und für die bis in die Gegenwart andauernden Menschenrechtsverletzungen geben.

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